Marcel Perincioli in den «Aufzeichnungen» 1986:
«Im Herbst 1934 erhielt ich vom damaligen Präsidenten der Gewerbeschule Bern den Auftrag, einen Modellierkurs für ausgelernte Lehrlinge zu leiten. Offenbar verschaffte mir der Bart, den ich damals trug, den nötigen Respekt, war doch die Mehrzahl der Schüler älter als ihr 23-jähriger Lehrer.
Unter den für diesen Modellierkurs Interessierten befand sich auch eine hübsche Handweberin, welche durch ihr einnehmendes Wesen auf mich sofort grossen Eindruck machte. Offenbar war die Sympathie nicht nur auf meiner Seite, denn schon zwei Jahre später, 1936, heirateten wir und konnten uns nun in unseren künstlerischen Bestrebungen gegenseitig unterstützen und fördern.
Foto-Reportage von Hans Steiner Besuch bei einem bernischen Künstlerpaar
in „Sie und Er“ vom 9.11.1941
Allerdings war unsere Verbindung vorerst nicht zur Freude meiner zukünftigen Schwiegereltern zustande gekommcn. Sie wünschten sich als Schwiegersohn keinen Künstler mit unsicherer Zukunft, was ich sehr begreifen konnte, sondern einen Innenarchitekten oder Kaufmann. Mit meinem damaligen Bart fanden sie mich für ihre Tochter zu alt, und dann ohne diesen zu jung und zu unerfahren. Letzteres stimmte. Mit der Zeit akzeptierten sie mich auch so, und wir hatten stets ein gutes und ungetrübtes Verhältnis. Das ging so weit, dass meine Schwiegereltern der Kirchgemeinde für die zweite von mir zu schaffende Bronzetüre an der Nydeggkirche einen namhaften Beitrag spendeten.
Für Hélène bedeutete die Heirat eine Änderung in ihrem Lebensstil, musste sie doch von einem rassigen Mercedes auf ein gebrauchtes Velo umsteigcn, und zudem war unsere erste Wohnung in der Sulgeneck äusserst einfach.
Trotzdem waren wir dort glücklich und konnten uns in den beiden Ateliers in unseren Berufen betätigen.»
Cristina Perincioli ergänzt: Im Sulgeneck bekamen sie ihre erste Tocher, Doris. 1939 zog die Familie nach Rörswil, wo 1941 Lorenz geboren wurde und später Cristina. Wir lebten in einem wunderschönen Haus aus dem 18. Jahrhundert, einem Nebengebäude des Landsitzes Rörswil. Dessen Besitzer Hektor Hess hatte für Marcel im Garten ein geräumiges Atelier gebaut. Hélène’s Webstuhl stand im Dach des Wohnhauses.
An diesem Webstuhl arbeitete sie viele Jahre, webte selbst entworfene Stoffe, hauptsächlich für die Kunden der Möbelfabrik ihrer Eltern. Denn auch Möbel wurde damals nach Kundenwunsch hergestellt. Möbelbezüge, Vorhänge, Tischdecken, bis hin zu den Servietten – alles entwarf sie auf einander abgestimmt und stellte diese als Unikate her. Während Marcel in diesen Jahren noch schwer um Kundschaft und Bekanntheit rang, trug Hélène das Meiste zum Einkommen bei.
Als ihr Vater – der Möbelfabrikant Herrmann Jörns – 1954 starb, bald gefolgt von seiner Frau, erbte Hélène ein Vermögen. Damit konnten Land gekauft und ein grosszügiges Haus gebaut werden: Hier fanden nun regelmässig grosse Einladungen statt, mit denen auch Geschäftsbeziehungen geknüpft und gepflegt wurden – nun in einem gehobenen Ambiente.
Der Umschwung des Hauses war gross, sehr gross, mit Schafen und Hühnern, Hund und Katze, Treibhaus und Schwimmbecken, ausgedehntem Obst- und Gemüsegarten. Wir waren Selbstversorger. Als nach und nach die drei mitarbeitenden Kinder ausgeflogen, wurden Maschinen angeschafft. Nach einem Unfall im schneereichen Winter erfolgte 1980 der Umzug in ein neues Haus in der Villette in Muri, nur 300 Meter entfernt vom Haus von Marcels Eltern. Dort schuf Marcel in den kommenden 14 Jahren, bis zu seinem Ableben, zahlreiche Kleinplastiken.