Marcel Perincioli schreibt in den «Aufzeichnungen» 1986 über diese Zeit:
«Nach Absolvierung der Rekrutenschule wollte ich nun meine künstlerische Ausbildung vorantreiben und entschied mich für einen Aufenthalt in Paris mit dessen damals noch grosser künstlerischer Ausstrahlung. Da es wegen der Krise nicht möglich war, dort eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten, und die Bildhauer selber keine Arbeit hatten, mietete ich mir ein geräumiges, jedoch primitives Atelier. Zu diesem Schritt hatte mich kein Geringerer als der grosse Bildhauer Maillol ermuntert.
Durch Zufall war ich bei Maillol eingeführt worden, und schon der Besuch bei diesem grossen Meister war für mich ein Erlebnis gewesen. Er wohnte damals in Marly-le-Roi, und als ich am angegebenen Ort zwei Strassenwischer nach dem Haus des berühmten Mannes fragte, bekam ich als Antwort, es gebe hier keinen Sculpteur, und erst auf mein Beharren erklärten sie mir, dass zu hinterst in der Strasse ein «Platrier» hause. Schon im Garten standen einzelne, grosse Gipsplastiken herum, notdürftig mit Karton gegen den Regen geschützt. Auch in der Vorhalle, welche zum eigentlichen Atelier führte, standen in einer wackligen Bretterbude beidseitig seine mir bekannten und sehr bewunderten Plastiken in Gips.
Maillol selber, von grosser Gestalt und mit mächtigem Bart, hiess mich mürrisch eintreten. „Encore un de ces sacres Suisses» war sein erstes Wort, nachdem ich mich vorgestellt hatte. Mit primitiven Werkzeugen war er gerade mit dem Fertig-Aushauen einer kleinen Steinplastik beschäftigt. Mit einigem Interesse las er meine Zeugnisse und machte mir den Vorschlag, sein kleines Modell des Gefallenendenkmals für Banyuls in Gips zu vergrössern und dieses dann mit ihm an Ort und Stelle in Stein zu hauen. Diese Arbeit wäre die Chance meines Lebens geworden. Die dazu nötigen technischen Fähigkeiten waren schon vorhanden gewesen, aber leider liess mich Maillol dann im Stich, und aus diesem vielversprechenden Auftrag wurde nichts.
Mein Aufenthalt in diesem lebendigen Paris mit seinen herrlichen Museen und seiner ganz besonderen Atmosphäre gefiel mir sehr. Oft schloss ich mich Sonntag abends einer Gruppe von Leuten an, welche mit einem Vorsänger und einigen Musikinstrumenten auf einem der kleinen Plätze alte und neue Chansons sangen – «Aux temps des cerises…». Mein Atelier befand sich direkt neben dem Militärspital des Val de Grace an der Rue Saint-Jacques, und ab und zu ertönte von dort her eine rassig gespielte «Marseillaise», um einem verdienten Kriegsveteranen die letzte militärische Ehre zu erweisen.
Einmal besuchte ich den für seine wunderschönen Tierplastiken bekannten Bildhauer Pompon. Es war für mich ein Erlebnis besonderer Art, mich bei diesem liebenswürdigen Menschen in seinem Atelier ein wenig umsehen zu dürfen.
Auch Alberto Giacometti besuchte ich in seinem kleinen, mit Plastiken überstellten ärmlichen Atelier. Meine Eltern waren mit seinem Vater befreundet gewesen, und Alberto erinnerte sich noch unseres Namens. Noch heute besitze ich von seinem Vater G. Giacometti ein eindrucksvolles Bild, das mein Vater von diesem im Tausch gegen eine Skulptur erhalten hatte.
Alberto Giacometti ging es damals (1931) schlecht, und er vertraute mir an, dass er halbtags für ein Unternehmen Leuchter herstellen müsse. Ich war von seinen Arbeiten – ganz besonders von seinen abstrakten Gebilden – sehr beeindruckt. Wer hätte damals seinen späteren Weltruf vorausgeahnt?
Auch den für seine grossartigen Porträts berühmten Bildhauer Charles Despiau besuchte ich. Ein ausserordentlich liebenswürdiger Mensch! Bei einem späteren Aufenthalt in Paris hatte ich Gelegenheit, durch ihn in seine Kunst des Porträtierens eingeführt zu werden. Typisch für ihn war dabei, seinen Schülern ein für unsere damalige Einstellung ganz unscheinbares Modell vorzusetzen, welches gar nicht unserer Vorstellung entsprach. Auf unsere Reklamation hin sagte er nur: «C’est à prendre ou à laisser.» So hatten wir keinen Charakterkopf vor uns und mussten uns mit den gebotenen Feinheiten der Form und des Ausdrucks auseinandersetzen, was natürlich viel schwieriger war. Von ihm stammt auch das für ihn typische Bonmot: «Il n’est pas difficile d’étonner, mais bien plus difficile d’émouvoir.»
Da sich in dieser Zeit in Paris keine Arbeitsmöglichkeit finden liess, belegte ich Aktkurse bei den Bildhauern Gimond und Wlerick, in den freien Akademien der «Grande Chaumière» und «Collarossi» bis mir im Frühjahr 1932 das Geld ausging.»