Foto: Peter Friedli
1911 in Bern am 14. Juni geboren.
1927–1930 Bildhauerlehre beim Vater, daneben Besuch der Gewerbeschule; Abschlussprüfung mit Auszeichnung. Steinhauerarbeiten zur Finanzierung der weiteren Ausbildung, beispielsweise bei Walter Linck (1931).
1931-34 Verschiedene Aufenthalte in Paris, bei Guimond, Wlerick und Charles Despiau, der ihn in die Porträtkunst einführt
1932/33 Studienaufenthalt in Berlin bei Wilhelm Otto.
1936 Verheiratung mit der Kunsthandweberin Hélène Jörns, Geburt der Kinder Doris 1938, Lorenz 1941, Cristina 1946 und Vincenz 1963.
1943/44 Studienaufenthalt bei Germaine Richier in Zürich.
1949 und 1952 Studien an der Sportschule Magglingen.
Studienreisen nach Italien, Frankreich, Griechenland, Vorderer Orient und Ägypten.
1961-1966 Zentralpräsident der GSMBA. Reisen in die USA, nach Thailand, Ankor, China.
Lebte und arbeitete in 1939–1955 in Rörswil, 1955–1980 in Flugbrunnen (beide Gemeinde Bolligen), danach in der Villette-Siedlung in Muri (bei Bern), wo er am 10.9.2005 verstarb.
Schaffen und Wirken von Marcel Perincioli
von Lorenz Perincioli
Ein Durchbruch gelang dem jungen Künstler mit der Ausführung des Portraits von Fritz de Quervain, Direktor des Inselspitals. Obwohl noch mit wenig Erfahrung ausgestattet, gewann er in den nachfolgenden Jahren eine beachtliche Zahl an Wettbewerben. Zum Beispiel mit dem Narziss für die Landesausstellung 1939 (mit dem späteren Standort im Staatsarchiv der Stadt Bern), sowie dem monumentalen Steinrelief an der Feuerwehrkaserne Bern, Florian und seinen Engel darstellend. Wettbewerbe blieben für ihn ein Gradmesser, welchem er sich sehr gerne stellte. Es folgten Porträts von Kindern und Erwachsenen, was einer Herausforderung entspricht, welcher sich nur gewiefte Künstler zu stellen wagen.
Seine fundierte Kenntnis des Alten und Neuen Testamentes eröffnete ihm die Möglichkeit sakraler, meist reliefartiger Darstellungen in Kirchen, wie an Taufsteinen, Glocken und Türen. Während der langen Aufenthalte in Magglingen, studierte Marcel eingehend Sportler und ihrer Bewegungen beim Training. Die Beobachtung >und Umsetzung prägten seinen Stil der Darstellung der Bewegung, des einerseits Kraftvollen und trotzdem Leichten und Beschwingten. Stein als Werkstoff hatte für diese Arbeiten ausgedient und wurde durch Bronze ersetzt.
Nach dem Umzug ins nahe Flugbrunnen begann für den 44-jährigen Bildhauer seine wichtigste Schaffenszeit mit Aufträgen aus dem ganzen Kanton Bern: Grosse figurative Skulpturen wurden mehr und mehr abgelöst von abstrakten, manchmal recht monumentalen Konstruktionen. Als Werkstoff dienten Beton, Stahl, Aluminium und Holz. Bisher wurden in der Regel Vorstudien in Lehm gemacht, dann diese in Originalgrösse in Lehm modelliert und anschliessend in Gips gegossen. Die notwendigen inneren Stützkonstruktionen waren aus Holz und Stahl. Das Gipsmodell wurde dann formvollendet und anschliessend millimetergenau in Stein ausgehauen. Für die späteren grossen abstrakten Werke bediente sich Marcel des damals neuen Werkstoffes Styropor. Dieser ist leicht, formstabil und einfach mit heissen Werkzeugen (Glühdraht) zu bearbeiten. Die Herstellung des Endproduktes erfolgte durch spezialisierte Unternehmen. Des Bildhauers Gattin Hélène, mit ihrer untrüglichen ästhetischen Empfindung, war seine wichtigste Stütze und erste Kritikerin.
Nebst den Aufträgen entstanden auf eigene Rechnung mehr und mehr Kleinplastiken wie Läufer, Menschengruppen und Tänzerinnen, alle in Bronze. Als Vorlage für den Giesser modellierte Marcel Perincioli mit Wachs (wie Bienenwachs) die gewünschte Form. Das Wachs wurde im heissen Wasserbad plastisch gemacht und die Bearbeitungswerkzeuge mit dem Schweissbrenner erhitzt. Als tragendes Element diente ein Gerüst aus Messingdraht. Beliebte Kleinplastiken wurden oft für eine Kleinserie von vier oder sechs Exemplaren vorgesehen und entsprechend bezeichnet (1/4 bedeutet Nr. 1 einer möglichen Serie von vier). Für den zweiten Kunden wurde dann ein weiterer Abguss mit Nr. 2/4 in Auftrag gegeben. Diese Massnahme verbesserte den vergleichsweise oft nicht sehr lukrativen Erfolg bei Einzelobjekten deutlich.
Marcel Perincioli fand immer gute Bronzegiessereien mit Verständnis für seine hohen Vorgaben und mit viel Fingerspitzengefühl für gute Abgüsse und ansprechende Patina (Färbung). Zum Bronzeguss: Beim Giesser wird die Wachsvorlage von Giessereisand umschlossen und im Ofen verfestigt. Dabei verbrennt das Wachs, der Messingdraht bleibt drin. Um mehre Abgüsse machen zu können, bedienen sich die Giesser eines speziellen Silikon-Werkstoffes, mit welchem aus dem Wachsoriginal ein solches aus diesem elastischen und trotzdem formbeständigen Material hergestellt wird. Diese Mutterform kann mehrfach zum Abformen im Giessereisand verwendet werden.
Marcel Perincioli war viele Jahre Mitglied der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten GSMBA, der heutigen VISARTE. Er war deren Präsident von 1961 bis 1966. In dieser Zeit förderte er explizit den Zugang der Künstlerinnen in diese Vereinigung. Er erwirkte zudem für die Bildhauer die Möglichkeit bei Kleinplastiken die beschriebene Serie von bis zu sechs Original-Abgüssen machen zu können. Als Präsident hatte er 1963 die Gelegenheit, am Kongress der Association Internationale des Arts Plastiques AIAP in New York die Sektion Schweiz zu vertreten.
Die Nachmittage nutzte Marcel Perincioli oft für Gartenarbeit und die Abende fürs Lesen von Kunst- und Geschichtsbüchern und manchmal für Konzertbesuche. Mit seiner gleichaltrigen Gattin Hélène besuchter er viele kunsthistorische Orte im nahen und fernen Ausland. Damit bildete er sich gewissermassen fortlaufend weiter. Andere auszubilden, wie zum Beispiel Lehrlinge, war nicht seine Sache. Den drei Kindern Doris, Lorenz und Cristina unvergesslich bleiben die jährlichen Bergwanderungen im Wallis, Pilze sammeln im Wald, Ausflüge an den Bielersee und besonders die Ferienreisen nach Alassio ans Meer: Alle fünf im VW-Käfer. Vinzenz, das jüngste Kind, kam viel später zur Welt und erlebte eine andere Jugendzeit.
Das Künstlerhausin Flugbrunnen mit dem grosszügigen Atelier, dem vorgelagerten Werkplatz und der bemerkenswerten Aussicht bot Marcel und seiner Familie Viel. Es eignete sich nicht nur, um mit Freunden einen gemütlichen Abend zu verbringen. Hier fanden grosse Einladungen mit potentiellen Käufern statt. Der riesige Umschwung forderte aber alle sehr, zu sehr. Hier gab es Schafe und Hühner, Hund und Katze, Treibhaus und Swimmingpool, Dutzende von Obstbäumen. Alles am Steilhang. Dann kam die Wende, die mitarbeitenden Kinder waren längstens ausgeflogen, das Ganze wurde zuviel.
1980 erfolgte der Umzug in ein neues Haus in der Villette in Muri, nur 300 Meter entfernt vom ehemaligen Haus seiner Eltern. Im Keller-Atelier schuf der Senior-Bildhauer während 14 Jahren bis zu seinem Ableben zahlreiche Kleinplastiken, vor allem Tänzerinnen. Auf Drängen von Freunden befasste er sich während zweier Jahre hauptsächlich mit Pferden. Es entstanden Charakter-Pferde, zum Beispiel die Rosinante des wehrhaften Don Quichotte. Die aufkommende Flüchtlingsthematik fand beim 84 jährigen Künstler Beachtung. Als letztes grösseres Werk entstand so die bekannte Flüchtlingsgruppe, ausgestellt beim Internationalen Roten Kreuz in Genf.